Interview
Deutscher Krimipreis 2014 - die brasilianische Autorin Patrícia Melo über ihre Romane, die keine Krimis sind |
Plakat zu einer Veranstaltung mit Patrícia Melo auf der Frankfurter Buchmesse 2013 - Foto (C) Eva von Steinburg |
Leichendieb ist ihr sechstes Buch auf dem deutschen Markt, übersetzt von Barbara Mesquita. Der Thriller ist ein „eleganter, maliziöser und sarkastischer Roman über die Deregulierung moralischer Standards“, so Jurymitglied Dr. Thomas Wörtche. Die 51jährige Autorin und Dramaturgin aus São Paulo siedelt ihre Geschichte im heißen, sumpfigen Pantanal an, nahe der brasilianisch-bolivianischen Grenze.
Darum geht es: Ein Päckchen Kokain liegt neben dem abgestürzten Piloten eines Sportflugzeugs im Rio Paraguay. Der Finder nimmt es an sich – und verstrickt sich in einen Sumpf aus Betrug und Erpressung. „Genau deswegen versaut man sich sein Leben. Man glaubt immer, dass man rechtzeitig aussteigen kann“, so die Brasilianerin. (Leichendieb, Verlag Klett-Cotta, 18,95 Euro).
Die Times kürte Patrícia Melo schon vor Jahren zur „führenden Schriftstellerin des Millenniums“...
[Eva von Steinburg interviewte die Autorin für KULTURA-EXTRA:]
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Die bekanntesten Autoren aus Brasilien sind Jorge Amado, Paulo Coelho, Patrícia Melo und seit der Frankfurter Buchmesse 2013 auch Luiz Ruffato. Wie fühlen Sie sich in diesem äußerst dispersen Club?
Patrícia Melo: Für mich ist es ein großes Privileg dazuzugehören. Ich fühle mich wirklich sehr geehrt. Dass ich als Autorin international anerkannt bin, habe ich meiner Hingabe, und sehr viel Arbeit zu verdanken. Außerdem war ich vom Glück gesegnet.
In Deutschland gelten Ihre Romane als Krimis – Sie mögen diese Klassifizierung nicht…
Ein Krimi hat drei typische Elemente: Verbrechen, Täter und Detektiv. Es gibt die englische und die amerikanische Krimitradition. Meine Romane passen da nicht hinein. Ich erzähle von Lügnern, Feiglingen, Mördern und den niederen Instinkten „a minha moda“ - auf meine eigene Art.
Ihre Literatur wird in Brasilien zur „narrativa brutalista“ gezählt…
Eigentlich hat die Generation vor mir die „narrativa brutalista“ erfunden. Ihre Autoren begannen in den 60er Jahren über harte gesellschaftliche Themen zu schreiben: über Gewalt, Ungerechtigkeiten und soziale Ungleichheit. Das war auch der Anfang der „urbanen Literatur“ in Brasilien. Ich trete zwar in diese Fußstapfen, möchte aber keinesfalls auf eine Kategorie reduziert werden.
Für ihren ersten Roman O Matador haben Sie im Gefängnis Mörder interviewt. Haben Sie diese Art von Recherche für Leichendieb wiederholt?
Nein, nicht genauso. Für meinen aktuellen Roman musste ich keine Verbrecher treffen. Aber da fällt mir ein: In den 90er Jahren habe ich, zusammen mit einem befreundeten Journalisten, eine psychiatrische Gefangenenanstalt in der Peripherie von São Paulo besucht. Dort hatte ich ein sehr seltsames Erlebnis. Auf dem Rundgang mit dem Direktor kamen wir auf einen Hof, auf dem etwa 500 psychisch kranke Männer waren. Wachen waren keine zu sehen. Der Direktor erkannte sehr bald, dass er einen Fehler gemacht hatte. Wir drei mussten aber noch den ganzen Hof überqueren. Ich hatte Angst: Jetzt passiert etwas Schlimmes. Denn die Männer um uns herum wollten nicht nur gucken, sie haben uns angefasst. Ich als Frau an einem Ort wie diesem… Alles ist gutgegangen. Aber das war die schwierigste Situation, in die ich jemals geraten bin.
Zur aktuellen Situation in Brasilien: Was ist ihr persönlicher Wunsch - was soll in Brasilien geschehen?
Wir brauchen „justica social“ - Gleichheit vor dem Gesetz und eine gerechtere Einkommensverteilung - das fehlt.
Sie haben eine 23jährige Tochter. Sie ist in São Paulo aufgewachsen. War das kompliziert?
Meine Tochter war nicht sehr frei, weil in São Paulo - wie in jeder Metropole – eine besondere Vorsicht geboten ist. Aber wir hatten nie Probleme. Als Brasilianerin wollte ich, dass meine Tochter in Brasilien aufwächst und Brasilianerin wird. Jetzt, wo sie schon Brasilianerin ist, lebt sie im Ausland. Auch ich lebe seit vier Jahren die Hälfte des Jahres in Brasilien, die andere Hälfte in der Schweiz.
Hat sich ihre Tochter ebenfalls im Schreiben probiert?
Nein, sie arbeitet mit Mode. Das ist auch besser so. Denn literarisches Schreiben ist schrecklich aufreibend.
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Interviewerin: Eva von Steinburg - 29. Januar 2014